Lieber Thorsten Engelbrecht,
ich bin erst seit einigen Tagen wieder von einem langen Auslandsaufenthalt zurück und habe die Berichterstattung über Angela Merkel in den vergangenen Tagen ein wenig aufgearbeitet. Dabei bin ich auch auf Alexander Osangs “Die deutsche Queen” gestoßen und weiterhin auf Ihren Kommentar zu selbigem. Leider muss ich feststellen, dass schon im Ansatz Ihrer Kritik die tunlichste aller Tugenden des Journalismus verletzt wird. Wenn es eine Internetseite zur Kritik eines bestimmten Mediums gibt, wie ja auch bildblog, etc., ist die Kritik schon von einer Überzeugung gefärbt. Ich kann nicht über alle Beiträge in diesem Blog schreiben, weil ich nur einige gelesen habe, aber zu Osang muss ich doch sagen, für einen Journalisten, der für angesehene Medien schreibt und der sein Volontariat bei einem medienanalytischen Magazin gemacht hat, finde ich, lesen, recherchieren und bewerten sie nicht nur reichlich unprofessionell, sondern auch mit politischer Überzeugung und der großen Portion Verschwörungstheorie, die im Zusammenhang auf die deutsche Presselandschaft immer wieder aufkommt.
Zunächst zu Osangs “Die deutsche Queen”:
Der Artikel ist weder Hofschreiberei, noch ist er schlecht recherchiert, noch ist er unkritisch. Ganz im Gegenteil! Osangs Text ist eine sehr gut gemachte, gehaltvolle Kritik an der derzeitigen Kanzlerin, die er allerdings nicht, wie sie das gerne hätten unter der Geschichte “Die Fehler der Kanzlerin im Detail” schreibt (was ein Report verlangen würde und keine Reportage!), sondern als wunderschönes Portrait einer Frau, die sich selbst für eine Idee (sei es Macht oder Gestaltungsmöglichkeit) isoliert hat, die sie auf dem Weg dorthin in den vergangenen zwanzig Jahren längst verloren hat. Nicht weil sie ihre ursprüngliche Motivation vielleicht nicht mehr kennt, sondern weil ihre Karriere, ihr Amt und ihr Selbstverständnis sie davon getrennt haben. Das ist keine Lobesschreiberei, sondern ein gängiges Phänomen in Machtpositionen. Manche nennen es auch das System Kirche: das man als motivierter, mit revolutionären Ideen ausgestatteter Junger anfängt und mit dem Aufstieg und der damit verbundenen und erforderlichen Anpassung all das verliert und einen beinahe-paranoiden Machtwall um sich herum aufbaut, der einen vereinsamt, ohne Freunde und ohne Kontakt zu denen, derer man sich eigentlich verpflichtet gefühlt hat, in der Entscheidungsposition endet.
Osang hat also mehr ein Drama beschrieben, was es in der Politik und der Wirtschaft unendlich oft zu beobachten gibt. Man kann Verschwörungstheorien des Kapitals hinein interpretieren, das Verdummen der Bürger mokieren oder welche Halbabsurditäten (die alle auch einen wahren Kern haben) auch immer, aber letzliche ist es eben nur die Geschichte eines Menschen, der hinausging um etwas zu bewegen und in der Bewegungslosigkeit endet.
Das ist eine Frage der journalistischen Form und meiner Meinung nach kein Grund einer überhöhten Kritik am System, denn das ist blanker Blödsinn. Wer denkt nur Investigativjournalismus ist Journalismus, der hat weit gefehlt. Als jemand, der mit ihrem Hintergrund arbeitet, sollte die Kenntnis der journalistischen Stilformen bestens vorhanden sein – was man leider nicht sehen kann.
Osangs Stück ist hervorragend recherchiert, die Details und Analysen nicht so gut wie in seinem vorangegangenen Portrait “Das eiserne Mädchen”, aber doch besser als 95 Prozent der übrigen Medienlandschaft zum Thema Merkel. Wer die Adjektive aus dem Text herausfiltert, der sollte auch den Unterschied zwischen Zitat, indirekter Rede und Konjunktiv gegenüber einem Kommentar des Autors kennen. Das diese Personen zitiert werden, die zitiert werden, liegt wohl mehr daran, dass eine Kanzlerin nun mal nicht die 42-jährige Friseurin aus Brandenburg zu sich nach Hause oder ins Kanzleramt einlädt, sondern eben die Taktgeber einer Nation, sei es aus Wirtschaft, Politik oder Kultur. Das kann man generell kritisieren und ich denke, dass ist Osang sehr gut gelungen! Wer Osangs Nebensätze nach solchen Zitaten einmal ließt, der weiß wovon ich spreche. Nur weil die Kritik nicht mit dem Vorschalghammer angebracht wird, ist der Text noch lange nicht unkritisch. Ansonsten haben wir nur noch Ludwig Stieglers im Journalismus (den sie ja auch ganz gerne in Ihren Texten zitieren).
Wer dann auch noch von einem solchen Portrait zur generellen Medienkritik hinüberschwenkt und die zu recht gelobten Theodor-Wolf-Preis und Egon-Erwin-Kisch-Preis kritisiert, aus dem spricht wohl eher der Neid, als die konstruktive Kritik. Die Preise erhalten und loben zumindest ein letztes über gebliebenes Stück Reportagekultur in unserem Land, dass nicht auf 80 oder 120 Zeilen reduziert wurde.
Vielleicht würde es Ihnen selbst, mit allem gebotenen Respekt einmal wieder gut tun, aus der dunklen Welt aller Verschwörungstheorien aufzutauchen und einen gut recherchierten, wirklichkeits- und alltagsabbildenden Journalismus zu lesen und zu respektieren, den Sie auf den Seiten dieser Preise finden können. Kollegen wie Sie sind auch ein Grund, warum kein Geld mehr für Reporter, seien sie nun investigativ oder aber eher erzählerisch-analytisch, von den Verlagen ausgegeben wird. Vielleicht denken Sie auch einmal darüber nach, bevor Sie weiterhin auf Kollegen in einer Maßlosigkeit herumprügeln, die diese Schelte in dieser Form und Respektlosigkeit sicher nicht verdient haben.
Denn, und da stimme ich gerne zu, der Spiegel zerstört leider viele talentierte Schreiber mit seinem oktroyierten Stil, ein Alexander Osang, hat sich aus dieser Masse bisher eher positiv hervorgehoben und nicht komplett angepasst. Man sollte soetwas auch auf einem kritischen Blog gerne auch einmal positiv erwähnen, dass täte der Presselandschaft auch einmal gut.
Als letzten Kommentar möchte ich nur noch anfügen. Sie mögen mit vielen Ihrer angesprochenen Punkte recht haben, was das Politische und das Vergangene der Angela Merkel angeht. In diesem Text allerdings hätte es keinen Platz gehabt, vielleicht aber im kommenden. Klaus von Dohnanyis Rat ein euphorisches Portrait zu schreiben ist Osang aber sicherlich nicht nachgekommen – was man allein daran sieht, dass er den Ratschlag erwähnt hat. Kritik geht eben auch anders!!!
Bestes,
F. Gartmann, Berlin